Aufmerksame Leser haben vielleicht bemerkt, dass ich bis jetzt nie etwas zu dem hervorragenden PlayStation 3 Spiel The Last of Us (siehe Bild) geschrieben habe. Viele Leute haben mir gesagt, „Marc, Du musst unbedingt The Last of Us spielen! Die Story ist der Hammer!“. Ich hatte sogar die PlayStation 3 von meinem Kumpel Felix wieder mal ausgeliehen zu Hause.
Das Experiment: Nicht selber Spielen
Ich habe daraus ein kleines Experiment gemacht. Denn ich habe mich dazu entschieden, das Spiel nicht selbst zu spielen, sondern mir einfach alle Zwischensequenzen auf YouTube als 90-Minuten-Film anzusehen. Das hatte ich schon einmal bei dem Spiel Catherine genau so gemacht. Ich habe es damals wie heute nicht bereut und habe dabei gelernt, dass gute Geschichten und Spiele nicht aufeinander angewiesen sind.
Story als Belohnung für Spielfortschritt
Durch das brillante Spiel Dark Souls, das als Action-RPG ohne Zwischensequenzen auskommt, ist es mir zum ersten Mal aufgefallen. Handlung getriebene Spiele wie Mass Effect spiele ich in erster Linie, um in der Handlung weiterzukommen. Klingt auch logisch.
Unterhaltungen über solche Spiele resultieren dann in Sätzen wie „… und als dann plötzlich klar wurde, dann die Kroganer durch den Virus der Turianer unfruchtbar geworden sind, war ich schon etwas geschockt“. Im Gegensatz dazu würde eine Erzählung über Darks Souls so aussehen „… und dann bin ich unten in den Kerker geschlichen und hatte kaum noch Energie. Kurz vor dem Feuer wurde ich invaded, aber der Typ ist zum Glück die Klippe runtergefallen.“ Bei Mass Effect kann ich mich an die Handlung erinnern, aber das eigentliche Spiel ist verblasst.
Moderne Spiele trennen Handlung und Gameplay
Der Unterschied ist, dass die Handlung bei den meisten modernen Spielen außerhalb des Gameplays stattfindet und erst bei Erfolg beim Spielen die Geschichte als Belohnung häppchenweise weitererzählt wird. Spiele wie Dark Souls oder auch Zelda – A Link to the Past erzählen ihre Geschichten innerhalb des spielbaren Teils und kommen ohne Zwischensequenzen. Solche Spiele schaffen es in meinen Augen im Nachhinein die spannendere Story zu erzählen weil man als Spieler permanent aktiv alles beeinflussen kann und vor allem muss.
Gute Spiele brauchen keine Geschichte
Bei einem Titel wie Mass Effect entspanne ich mich automatisch, wenn eine Zwischensequenz kommt, weil der Protagonist nicht sterben kann und wenn er es doch tut, dann kann ich es zumindest in der Zwischensequent nicht aktiv verhindern.
Dazu kommt, dass die Handlung oft unnötig in die Länge gezogen wird in dem Schusswechsel an verschiedenen Orten stattfinden, welche immer wieder die Handlung unterbrechen. Ein Schuh, den sich auch die hochgelobte Bioshock-Serie leider anziehen muss.
Unterschiede zwischen Film und Spiel
Die Infografik zeigt links den typischen Spannungsbogen eines Spielfilms. Es wird immer spannenderer, mit ruhigen Passagen, in denen sich der Zuschauer entspannen kann. Der Handlungsbogen eines Spiels sieht man rechts auf der Grafik. Die Handlung wird immer wieder durch Gameplay ausgebremst und verzögert.
Meistens wird die Story auch unnötig durch Elemente wie Schusswechsel oder Gewaltszenen erweitert, die den Spannungsbogen nicht nach oben treiben sondern einfach nur dazu da sind, mehr von dem entsprechenden Gameplay ins Spiel zu integrieren.
Alles nur in meinem Kopf
Egal, ob Film, Buch oder Spiel: Immer passiert ein Teil der Handlung in meinem Kopf. Wenn ich einen Film schau, denke ich über die Charaktere nach und versuche mir zu überlegen, was sie als Nächstes tun. In einem Buch kommt noch hinzu, dass ich mir das Setting und alles andere, was nicht oder nur vage beschrieben wird, ebenfalls ausdenken muss. Bei Spielen ist es ähnlich, weil die Grafik noch nicht bei Fotorealismus angekommen ist, wie ich mir eigentlich damals erhofft hatte.
Spiele für sich den Anspruch erheben, ihre Geschichte wie ein Film erzählen zu wollen, auch damit verglichen zu werden. Ich schaue mir die Grafik eines The Last of Us oder des neuen Tomb Raider an und denke „Wow, das sieht ja unglaublich aus!“. Wenn man diese Spiele dann aber mal Leuten zeigt, die primär nicht spielen, dann kommt meistens „Das sieht ja mittlerweile gewiss gut aus – für ein Spiel.“.
Aber letztlich sieht es natürlich immer noch schlechter aus als ein Film und die Schwelle zur kompletten Immersion ist dadurch höher als bei Spielen, die eine abstraktere Grafik haben. Abstrakt meint damit nicht nur alte Pixelgrafik, sondern auch sehr comicmäßige Optik oder vielleicht sogar etwas im Stil von Child of Eden. Spiele haben dadurch für mein Verständnis die Messlatte hoch angesetzt und manchen Personen ist sie dann auch zu hoch als Einstieg. Kleinste Fehler bei dem Anspruch realistische Inhalte darzustellen, wie das Uncanny Valley bei der Wahrnehmung von künstlichen Figuren, führt dann zu einem Bruch der Immersion.
Die Schere zwischen Zwischensequenz und Spielgrafik
Besonders auffällig wird dieses Phänomen, wenn Spiele die Zwischensequenzen nicht direkt in der Spieleengine rendern und somit derselben Grafik rendern wie das eigentliche Spiel. Dann sieht man die Schere zwischen Spielgrafik und meistens besserer Rendergrafik enorm. Das zerstört das Eintauchen in die virtuelle Welt komplett und erschwert mir zumindest, die Handlung als glaubwürdig zu akzeptieren.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Es gibt natürlich auch positive Ausnahmen, wie die neusten Titel der Firma Telltale Games. Allen voran The Walking Dead, das zwar nur aus Zwischensequenzen besteht, aber im Gegenzug dazu fast im Sekundentakt radikale Entscheidungen vom Spieler fordert und Entscheidungen und somit massive Änderungen der Story zum wichtigen Gameplay-Element erhebt. Dabei habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich entspannen kann, weil die Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden müssen und sich sofort auf die Geschichte und entsprechend wieder direkt auf das Gameplay auswirken.
Gute Geschichten brauchen keine Spiele
Zurück zu meinem Experiment mit The Last of Us. Die Geschichte ist sehr gut und die Figuren glaubwürdig und lebendig dargestellt. Deswegen funktioniert die Geschichte und das Ende. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich ohne das Gameplay etwas verpasst hätte. Klar, es ist bestimmt kein schlechtes Action-Adventure aber rein zur Handlung hat das eigentliche Spiel wenig beigetragen.
Jede Handlung kann auch als Film oder Buch erzählt werden
Wenn ich ehrlich bin, würde die Geschichte von Bioshock Infinite auch wunderbar als Film funktioniert. So wie spannende Spiele wie Final Fantasy X oder Lost Odyssey für mich auch ohne den Spielinhalt gut funktionieren würden. Mir haben sie aber damals Spaß gemacht, weil mir der Spielinhalt auch gefallen hat. Genauso wie ich das Gameplay der Bioshock-Serie persönlich auf den hohen Schwierigkeitsgraden sehr mag.
Beispiel: The Last of Us
Bei The Last of Us werde ich es aber wohl nie erfahren, ob mich das Spiel ebenfalls als solches überzeugt hätte. Die Geschichte hat für mich auf jeden Fall auch ohne das Gameplay funktioniert. The Last of Us ist natürlich im Umkehrschluss kein schlechtes Spiel und würde auch ohne die Story und die Atmosphäre funktionieren.
Deswegen bin ich der Überzeugung gelangt, dass Spiele nicht unbedingt dafür geeignet sind, um gute Geschichten zu erzählen. Genau genommen leiden viele Storys sogar dadurch, dass sie in ein Spiel eingebettet sind. Die unnötigen Wechsel der Handlungsorte und das Künstliche in die Länge ziehen der Story durch Gameplay macht die Handlung nicht besser. Das merkt man aber auch nur, wenn man sich mal so, wie ich 90 Minuten isoliert die Zwischensequenzen ansieht und diese Dinge bemerkt. Ein Film würde das nicht so auseinanderreißen.
Ein weiterer Weg, der funktioniert, ist das man die Spiele entsprechend kurz hält wie Brothers – A Tale of Two Sons oder The Walking Dead. Das neue Tomb Raider oder die Assassin’s Creed Serie sind dagegen mit ihrem „Abschnitt geschafft – Story geht weiter“-Muster für mich unerträglich.
Film und Bücher können besser erzählen
Wer spannende und gute Storys erleben will, für den sind Filme, Serien und vor allem Bücher meiner Meinung nach besser geeignet. Das heißt nicht, dass Spiele keine Geschichten mehr erzählen sollen, aber gute Spielen müssen für mich mehr sein als Filme mit unnötigen Unterbrechungen durch Gameplay. Spiele sind anders als Filme und können so viel mehr sein. Dazu brauchen sie das Storytelling von Filmen jedoch nicht und haben zudem auch noch mit Problemen wie dem Uncanny Valley zu kämpfen.
Bei Spielen ist man jedoch näher dran. Näher am Geschehen, näher an den Charakteren und durch die Interaktion auch vielleicht tiefer in der Geschichte. Aber wenn diese Geschichten einfach nur ablaufen wie ein Film und nur aufgesetzt sind, dann verfehlt das Medium Spiel meiner Meinung nach seine Aufgabe.
Story in a game is like a story in a porn movie. It’s expected to be there, but it’s not that important.
John Carmack – Co-Founder of id Software
Brauchen Spiele eine Handlung
Meine Antwort auf die Frage, ob Spiele eine Handlung brauchen ist also: Nein, nicht zwingend. Allerdings schadet eine Story dem Spiel auch nicht. Jedoch können Geschichten von Filmen, Serien und Büchern besser erzählt werden als in einem Videopiele. Denn The Last of Us oder Bioshock Infinite haben zwar für Spiele eine sehr gute Story. Aber als Film wären sie nur Standardkost.
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