Wann stirbt das Papier?


Könnte es sein, dass ihr auch das Gefühl habt, in der Zukunft zu leben? Meine Generation hat die Anfänge des Privatfernsehens, des Internets und des Mobilfunks mitbekommen und mussten auch lernen, mit diesen Neuen Medien umzugehen. Auf der anderen Seite »speichern« wir Informationen nach wie vor rückschrittlich auf Papier.

Immer wenn ich an der universitären Bibliothek vorbei gehe werde ich daran erinnert wie unzugänglich das klassische Buch eigentlich ist: Keine Volltextsuche, physisch an einen Ort gebunden, keine automatischen Lesezeichen, umständlich zu kopieren, teilweise unhandlich oder schwer und die Produktion ist relativ aufwendig und teuer.

Noch schlimmer ist es in meinen Augen bei den Tageszeitungen. Folgender Satz von Kathrin Passig fasst das Problem an diesem Medium treffend zusammen:

Im Nachhinein ist es schwer zu verstehen, wie ein Medium derart lange überdauern konnte, dessen Nachrichten den Leser mit bis zu 24 Stunden Verspätung erreichten, in dem Fehler nach der Veröffentlichung nicht mehr zu korrigieren waren und dem es an jedem sinnvollen Feedback-Kanal mangelte.

taz – via Anmut und Demut

Hinzu kommt die absolut unhandliche Größe und durch das viele Material der mühevolle Gang zum Papiercontainer. Außerdem erbt die Zeitung natürlich sämtliche Nachteile des Buches gleich mit.

Ich könnte jedes Mal schreien, wenn ich bei Verträgen, Anträgen oder Formularen mühevoll mit dem Stift auf Papier ausfüllen muss. Denn bei diesen handelt es sich meist um die gleichen Formulare, die ich schon oftmals davor und immer wieder ausfüllen musste. Später werden diese Daten größtenteils von Sekretärinnen wieder abgetippt, digitalisiert und in Datenbanken eingepflegt. Dabei frage ich mich, wohin diese Daten dann verschwinden, wenn ich erneut aufgefordert werde, ein neues Formular zu vervollständigen. Ein ziemlicher unsinniger Weg in meinen Augen, da noch über das Papier mit dem Datenspeicher am Ende der Kette zu interagieren.

Gibt es etwas Besseres als Papier?

Die Frage ist natürlich: Was ist die Alternative zum Papier? Schlagworte für den Ersatz für Bücher sind schon seit Jahren Technologien wie eInk bzw. ePaper. Aber es fehlt nach wie vor an der für den Massenmarkt tauglichen Implementation dieser Technik, die wohl auch in erster Linie als Ersatz für das klassische Buch abzielt. Für Tageszeitungen hingegen sehe ich eher die jetzt schon verfügbaren Webseiten als ausreichenden Ersatz an, auf den sich nur die mobilen Geräten einstellen müssen – und nicht umgekehrt. Für den Briefwechsel, der die Interaktion in Form von Formularen und Unterschriften erfordert, wären Webseiten mit einer Sicherheitstechnologie denkbar. Da sehe ich eher die fehlende Akzeptanz und das fehlende Vertrauen der Ämter und ähnlichen Institutionen als die bremsende Kraft.

»Die Haptik eines Buches ist nicht zu ersetzten.«

Natürlich ist das Konzept des Buches und auch das der Zeitung verdammt gut. Es ist günstig, in großer Menge herstellbar und auch wenn eine Seite einreißt, ist es noch funktionsfähig. Aber genauso wie wir uns daran gewöhnt haben, dass wir keine Selbstversorger mehr sind, die im Garten ein Gemüsebeet anbauen, kann man sich meiner Meinung nach schnell an die Haptik eines elektronischen Buches gewöhnen. Bei dem muss man keine Seiten umblättert, aber durch sein E-Paper-Display sieht es genau so aus wie gedrucktes Papier.

Als in England die Eisenbahn, am Ende des 18. Jahrhunderts in Betrieb genommen wurde, hatte die Bevölkerung zuerst auch eine gespaltene Meinung zu ihr. Die „hohe“ Reisegeschwindigkeit wurde als gesundheitsschädlich empfunden. Mit der Weiterentwicklung der Eisenbahn sind diese Fehleinschätzungen rasant verschwunden. Ähnliches Problem trat mit Revolution des Internets auf und ist auch auf das Phänomen E-Paper übertragbar.

Evolution der Mobiltelefone wird uns alle überraschen

Viele Leute reagieren bei dem Angriff auf das alt hergebrachte Papier bzw. Buch so: »Wir werden garantiert nicht am TFT lange Texte lesen! Niemand wird so einfach das Buch vergessen!«. Natürlich ist der TFT am heimischen PC denkbar ungeeignet, um zu lesen. Wir würden ja schließlich nicht das Buch nehmen, auf einen Buchhalter klemmen und uns dann in einem Bürostuhl davor setzten, um es am Schreibtisch zu lesen. Dafür gibt es schon ganz andere Geräte wie die oben beschrieben E-Books oder wie in meinen Augen: das Mobiltelefon.

Das Handy selbst hat eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Zuerst wollte es keiner – nun muss man es haben. Vielleicht wird das Mobiltelefon eines Tages mithilfe eines kleinen Beamers im Gerät die Zeitung vor uns auf den Schreibtisch projizieren. Wenn ich mir die technische Entwicklung der Geräte ansehe, dann bin ich mir sicher, dass da sicher ein paar sehr abgefahrene Ideen auf uns warten, um Texte zu visualisieren.

Wahrscheinliche Finanzierung der elektronischen Zeitungen: Werbung

Mittlerweile glaube ich auch nicht, dass im Bereich der Zeitungen ein bezahltes Abo-System in Zukunft funktionieren wird, weil niemand gerne im Internet Geld für etwas bezahlt, was es einen Klick weiter kostenlos gibt. Zeitungen zu drucken, kostet Geld. Aber diese Informationen über das Internet weiterzugeben, ist vergleichsweise günstig. Trotzdem es dies finanziert werden und die wahrscheinlichste Lösung lautet: Werbung. Gegenwärtig sind die Werbepreise im Internet in der Regel nicht mit denen im Privatfernsehen zu vergleichen. Es wäre möglich, dass die Wirtschaft ein Umdenken an den Tag legt und neue Ideen könnten plötzlich eine Chance haben, da das Geld für die Umsetzung verfügbar ist.

Alte Schriftrollen – Lesen ohne Seiten

Die Art, wie Information in Form von verschriftlichter Sprache in der Geschichte der Menschheit gespeichert wurden, hat sich oft verändert. Auch wenn das Buch bzw. die Zeitung an sich ein tolles Konzept ist, kann es in meinen Augen nicht mehr mit den Vorteilen der digitalen Medien konkurrieren. »Macht der Gewohnheit« ist in meinen Augen eine schlechte Ausrede um das Papier zu retten. Es ziehen heute auch keine Rhapsoden mehr durchs Land und tragen die Informationen singender Weise zum Volk. Es stellt sich nicht mehr die Frage nach dem »ob«, sondern »wann« das Papier seine derzeitige Rolle abgibt – an das, von dem niemand momentan sagen kann, wie genau es aussehen wird.

Und auch wenn laut Spiegel.de 80 % der Deutschen ihre Zeitung lieber auf Papier lesen, denke ich, dass diese Einstellung an der Ermangelung einer Alternative liegt. »Allerdings jeder Dritte der Befragten, er oder sie informierte sich bereits heute eher über das Internet als über Zeitungen oder Zeitschriften.« heißt weiter in der Studie aus Bielefeld.

Wenn die Geräte zugänglicher und die Angebote im Bereich E-Zeitungen und E-Books besser und elektronische Abwicklung von Formalitäten über Netz sicherer wären, dann gäbe es eine echte Alternative zu den jetzigen Print-Angeboten und wir könnten den Abschied vom Papier wesentlich beschleunigen. Vielleicht ist doch das Internet an allem schuld, Herr Schirrmacher.


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Kommentare

159 Antworten zu „Wann stirbt das Papier?“

  1. Avatar von le phil
    le phil

    ich frage mich, wie Frank Schirrmacher so eine Rede halten konnte. Hat der keine PR-Manager um sich herum? =) Das musste man doch verhindern!

  2. Avatar von Alain
    Alain

    Wenn ePaper so weit ist, dass man gefahrlos in der Badewanne lesen kann, dann wird es wohl nicht mehr lange dauern. Ich hoffe wir sind bald so weit. Bis dahin könnte man noch ein N800 / N810 mit sich herumtragen und darauf lesen (Marc wird eine PSP vorziehen).

    Ansonsten dürften Behörden mit der Aufbewahrungspflicht immer noch stark dazu beitragen, dass der Papierverbrauch hoch ist. Ich glaube da fehlen einfach immer noch entsprechende Standards, damit Daten nicht einfach mal verschwinden können.

    Und dann wäre noch das Problem der Langlebigkeit der Daten zu lösen. Wer sagt, dass ein PDF in 20 Jahren noch am Computer lesbar ist? Oder ein Word Dokument? Deswegen ist ODF ja inzwischen genormt (ISO-bla), nur immer noch nicht verbreitet im Einsatz. Welches Programm kann heute noch ein Word-Perfect 1.0 Dokument lesen?

    Bis dahin läuft wohl eher gegenteilig ab:

  3. Avatar von Ralf
    Ralf

    Ich finde zwar dass du im Bezug auf Tageszeitungen recht hast, der Papierverbrauch ist extrem hoch und die Aktualität lässt stark zu wünschen übrig, jedoch möchte ich ehrlich gesagt auf mein Buch nicht verzichten müssen, dem kann nicht der Akku ausgehen :D

  4. Avatar von Marc
    Marc

    Zum Akku des eBooks (oder wie das auch immer heißen mag): Das selbe hätte man über das Festnetz-Telefon auch sagen können. In unserer WG haben 7 von 8 Leuten kein Festnetz mehr sondern nur noch akkubetriebene Mobiltelefone. Vor ein paar Jahren hätte vielleicht jemand dagegen auch mit dem Akku argumentiert. Da aber Akkulaufzeiten sehr lang geworden sind und Steckdosen keine Seltenheit darstellen, ist der Akkubetrieb in meinen Augen ein schwaches Argument.

  5. Avatar von uli
    uli

    Das Problem des Akkus bzw. der Akkulaufzeit mag in unseren Breiten kein Problem darstellen, in Gebieten der Dritten Welt sieht das jedoch ganz anders aus. Dort ist Strom nur in Ausnahmen unbegrenzt verfügbar und dies meist auch nur der Oberschicht.

    Von einem humanistischen Standpunkt aus betrachtet gibt es daher keine Alternative zum gedruckten Wort. Das schließt natürlich nicht aus, dass eine umfassende Digitalisierung aller frei zugänglichen Druckwerke nicht wünschenswert ist, ersetzen kann diese Maßnahme das Buch aber nicht.

  6. Avatar von Jochen
    Jochen

    Die Entwicklung dieser ganzen mobilen Medien ging so rasend schnell voran, dass eine vernünftige Anpassung der Menschheit garnicht mehr möglich scheint.
    Viele Generationen von Menschen hat es gedauert, von der Entwicklung der Schrift über den Buchdruck bis hin zum TV. Die Zeit, sich daran zu gewöhnen war gegeben.
    Ebenso verhält es sich mit der Entwicklung der Mobilität, auch wenn hier die Entwicklung des Automobils rasend schnell erscheint. Es gibt kaum Überschneidungen mit dem Generationenwechsel der Menschen.
    Die jetztige Entwicklung bei digitalen Medien überfordert selbstverständlich viele, da die Anpassungszeit sehr kurz ist. Viele ältere Menschen haben noch schnurgebunden mit Wählscheiben telefoniert und nun schon ein Mobiltelefon mit Kamera, Webbrowser, Mailfunktion etc.
    Mich wundert es nicht, wenn sich die gute alte Tagestzeitung auf Papier hält. Denn nicht alle Menschen sind jung und solche Digi-Jünger. Ebenso verhält es sich mit der Bibliothek. Der Mensch strebt nach begreifbarem. Nicht nach virtuellem.
    So ist das nun mal. Auch wenn einige es für unpraktisch halten oder es anders sehen, werden digitale Bibliotheken die „alten“ nie ablösen, höchstens ergänzen…
    Grüße vom NW-Papierversion-Leser. ;-)

  7. Avatar von fym
    fym

    Immer wenn ich in der Bibliothek bin oder daran vorbei gehe, werde ich auch daran erinnert, wie ungemein unzugänglicher eigentlich Informationen im digitalen Zeitalter sind. Unzugänglichkeit wegen Vergänglichkeit. Die schiere Masse als Negativpunkt. Praktisch nur entwertete, massenproduzierte Buchstaben, die einen erschlagen können und zu neuen Arten der Informationsverweigerung nötigen; für den Selbstschutz vor Reizüberflutung oder dem langsamen Rückgang des eigenen Gedächtnisses.

    Die modrige Duftnote ist dann zusätzlicher Bonus ;)

  8. Avatar von Ron
    Ron

    Ja – Verfügbarkeit, Durchsuchbarkeit, Auffindbarkeit, Speicherdichte – all diese Vorteile haben die digitalen Medien. Die Haptik bekommen wir auch noch in den Griff. Was aber bei deiner Argumentationsführung meiner Meinung nach fehlt, ist die Lösung des Speicherproblems. Papier ist ein Medium, das Jahrtausende überdauert hat. Dafür haben wir noch kein Äquivalent gefunden – schon gar kein empirisch belegtes. Es gibt in Bibliothken mittlerweile ganze Abteilungen, die Wissen von einem Datenträger auf den nächsten transferieren, damit das Wissen nicht verloren geht. Nur Papier funktioniert ohne Dekodierungsgerät und ohne ein solches sind digitale Informationen wertlos.

  9. Avatar von Marc
    Marc

    @Uli
    Natürlich ist das nur hier ein Problem. Aber wer hätte damals zur Zeit der Großrechner gedacht, dass wir ein paar Jahre später PCs mit Kurbel für die dritte Welt bauen?

    @Jochen
    MP3s bzw. Aufiodateiformate haben auch die greifbare AudioCD nahezu überflüssig gemacht. Es ist nur eine Frage der Zeit bis es keine Tonträger mehr zu kaufen gibt. Virtuelle Albencover oder Handy-Cover reichen den meisten anscheinend mittlerweile doch.

    @Fym
    Und mir geht es in der Bib genau andersrum. Und warum? Weil ich die Massen an Informationen nicht durchsuchen kann. Mich durch jedes Buch wühlen? Nein danke. Da hilft auch kein Index auf einem PC. Damals hat man sich auch beschwert, dass das Wissen plötzlich niedergeschrieben hat, als die Schrift erfunden wurde. Es hieß, dass wir alle verblöden, weil wir uns nichts mehr merken müssen. Genau das Gegenteil ist der Fall: wir haben mehr Kapazität zum Denken und nicht zum Merken.

    @Ron
    Genau das meinte Alain ja schon. Natürlich hält eine Marmorplatte länger als eine Festplatte. Das Problem ist klar. Ich denke aber, dass dieses Problem auch in den Griff zu bekommen ist. Google speichert auch Unmengen von Text und Video-Dateien und haben sogar noch Raum für Backups. Und dank offenen (XML)-Standards können wir auch beruhigt in die Zukunft blicken. Aber generell habe ich dafür natürlich auch keine Lösung, dass man einen Decoder in Form eines Computer benötigt.

    @All
    Ich glaube, es hapert hauptsächlich an der Umsetzung und nicht an den Möglichkeiten oder Problemen.

  10. Avatar von Ron
    Ron

    Uuups. Da hätte ich mal aufmerksamer in die Kommentare schauen sollen. Seufz.
    Zu Deiner Antwort: Klar, so lange wir davon ausgehen, dass wir immer alles fein auf die neuen Datenräger umschreiben, haben wir natürlich kein Problem ;) Auf Google würde ich mich da nur ausnahmweise mal nicht verlassen…

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